„Mitten in der Predigt ging die Kirchentüre auf“
Seit 1707 dient das Tempelhaus als Kirche für die katholische Pfarrgemeinde Neckarelz – Wiederholt Streit mit den Reformierten
„Den 9. octob. (1707) ßeind die Cathol. nach gehaltener predig in solemni processione (= in feierlicher Prozession)
cum venerabili Sacramento (= mit dem ehrwürdigen Allerheiligsten) in das Tempelhauß eingezogen, wobei nach gethaner predig
folgende protestation öffentlich abgeleßen in der alten kirchen.“
So beschreibt der damalige katholische Pfarrer von Neckarelz, Johann Georg Klüpfel, den Umzug der Katholiken am 9.10.1707
aus der (evangelischen) Martinskirche, die sie seit 1699 gleichzeitig mit den Reformierten für ihren kath. Gottesdienst
benutzen durften, in die alte Burgkapelle im Tempelhaus. Seit diesem Tag vor 300 Jahren dient das Tempelhaus der Pfarrei
Neckarelz als kath. Kirche.
Hinter den Zeilen aus dem katholischen Kirchenbuch von Neckarelz verbergen sich recht dramatische Vorgänge für alle damals
Betroffenen, für deren Verständnis man kurz an die Konfessionsgeschichte der Kurpfalz erinnern muss.
1556 führte Kurfürst Ottheinrich die Reformation nach Martin Luther in der gesamten Kurpfalz ein. Nach dem Augsburger
Religionsfrieden bestimmte er als Landesherr auch den Glauben seiner Untertanen. Unter seinen Nachfolgern mussten die
Kurpfälzer mehrmals vomlutherischen zum Bekenntnis nach Calvin und zurück wechseln, bis seit 1583 die Kurpfalz sich für
ca. 100 Jahre zur calvinistisch-reformierten Lehre bekannte. Man duldete nur reformierte Gottesdienste, die die Katholiken
unter Androhung von Strafen besuchen mussten. Der letzte reformierteKurfürst Karl II. starb 1685 kinderlos. Nachfolger wurde
Philipp Wilhelm aus dem kath. Haus Pfalz-Neuburg. Damit setzte eine Rekatholisierung ein. Durch Erlass vom 13.10. 1685
verkündete Philipp Wilhelm die völlige Religionsfreiheit für alle drei Konfessionen, für Calvinisten, Lutheraner und Katholiken.
Im Sommer 1685 fand nach langer Zeit in Neckarelz wieder der erste katholische Gottesdienst statt, und zwar in der
notdürftig hergerichteten ehemaligen Burgkapelle des Tempelhauses, der alten Johanniterburg. Unter Kurfürst Johann Wilhelm
(1690--1716) brachen heftige Konflikte zwischen den Konfessionen aus. Johann Wilhelm war entschlossen, der Pfalz ein
katholisches Gepräge zu geben. Durch Verordnung vom 29. 10. 1698 führte er das „Simultaneum“ ein, das besagt, dass
die reformierten Kirchen in der Pfalz von allen drei christlichen Konfessionen gemeinschaftlich (= simultan) benutzt werden
sollen. In Neckarelz wurde daraufhin am 30. 11. 1698 in „einer Prozeßion das Sanctissimum (= das Allerheiligste) aus dem
Tempelhauß, in dem Kellereyhof gelegen, in dasige orthß Pfarrkirch (gemeint ist die reformierte Martinskirche) getragen und
dabey gehöriger Gottesdienst abgehalten“. Etwa ein Jahr später wurde auch die kath. Pfarre Neckarelz wieder errichtet.
Die gemeinsame Nutzung der Kirchen durch die drei Konfessionen führte zu erheblichen Konflikten. In Neckarelz mussten die
Reformierten den Schlüssel zu ihrer Martinskirche unter Androhung von Gewalt herausgeben, und der reformierte Pfarrer hatte
sein Pfarrhaus dem katholischen Priester zu überlassen. Es kam wiederholt zu Tumulten oder gar Handgreiflichkeiten.
1705 ordnete die pfälzische Religionsdeklaration an, das Kirchen und Kirchenvermögen im Verhältnis 5:2 zwischen Reformierten
und Katholiken aufgeteilt werden sollten. Wo nur eine Kirche zur Verfügung stand, mussten diese so geteilt werden, dass den
Katholiken der Chor und den Reformierten das Kirchenschiff zufiel - wie in Mosbach 1708. In Neckarelz sollte die Martinskirche
am 15. Mai 1707 an die Reformierten zurückgegebenwerden. Offensichtlich ließen die Katholiken diesen Termin verstreichen, denn
erst am 8. 10. 1707 fingen sie an, die „Kirchensachen“ ins Tempelhaus zu übertragen. Sonntags darauf, 9. Oktober
1707, gaben die Katholiken die Martinskirche für ihre Gottesdienste auf und zogen mit dem Allerheiligsten in das Tempelhaus.
Im Archiv der ev. Gemeinde Neckarelz findet sich ein Bericht, der schildert, wie dies geschah: „An einem Sonntag
mitten in der Predigt ging die Kirchentüre auf und herein schritt zu den Altären in Prozession der Priester und ein Teil der
Gemeindeglieder und jeder nahm ein Stück vom Altarweg und so trugen sie die Gefäße und Geräte wieder hinaus“. Die
Katholiken waren keineswegs bereit, sich mit der neuen Situation abzufinden. Sie weigerten sich, den Kirchenschlüssel
zurückzugeben und ließen die Kirche Tag und Nacht offen, so dass „Schwein, Hund und Gäns darinnen herumliefen“.
Die Katholiken mussten sich schließlich mit der Situation abfinden. Da zur Pfarrei die Filialorte Diedesheim, Obrigheim,
Nüstenbach, Mörtelstein sowie Schreckhof, Kirstetter Hof und Neuburg gehörten, erwies sich die Burgkapelle bald als zu klein.
Nach vielen Bittgesuchen konnte 1731 mit dem Umbau des Burgengebäudes in eine Kirche begonnen werden. Die neue kath. Kirche
im Tempelhaus wurde am 4. Mai 1737 geweiht und diente bis zur Weihe der neuen Marienkirche 1955 der Gemeinde zum Gottesdienst.
Nach Renovierung 1963-65 ist sie nach wie vor beliebt für Gemeindegottesdienste und als Hochzeitskirche.
Wer mehr über die Ereignisse vor 300 Jahren wissen will, findet im Mosbacher Jahresheft 2007 einen ausführlichen Bericht.
Horst Uhl